Es gibt sie noch, diese ganz besonderen Spiele, die Zeit brauchen und von den Studios sorgfältig bis ins kleinste Detail durchdacht sind – so auch das neue Mittelalter-RPG Kingdom Come: Deliverance aus dem Hause Warhorse Studios. Die tschechische Entwicklerschmiede hat es sich zur Aufgabe gemacht, ein fast perfektes Rollenspiel-Epos zu erschaffen, welches seinesgleichen sucht. In diesem Spiel soll der Spieler hautnah miterleben, was im 13. Jahrhundert so alles passierte und vor allem, was ein Mensch erlebt, der als Sohn eines Schmiedes zu einem tapferen Ritter wird und die aufregendsten Abenteuer erlebte.
Wir haben uns Kingdom Come: Deliverance ein paar Stunden lang angesehen und möchten euch in diesem Test dazu verraten, was euch erwarten wird, wenn ihr euch ins Jahr 1403 auf der Xbox One begebt. Zwängt euch in die Rüstung, schärft euer Schwert und sattelt den Gaul – wir reiten in ein mittelalterliches Abenteuer!
Böhmen, 1403…
Bei Kingdom Come: Deliverance handelt es sich um ein Rollenspiel, das im Jahre 1403 spielt. Hier ist alles soweit historisch korrekt und der Titel selbst ist sehr auf Realismus getrimmt. Es entführt euch also wirklich in eine authentische Mittelalter-Welt. Mächtige Helden, Zauberer, Drachen und andere Fabelwesen könnt ihr hier vergessen. Euch erwartet nur purer, realistischer Schwert- und Bogenkampf. Worum geht es also?
Das hat uns gefallen:
Im Herzen Europas gelegen, ist das Gebiet reich an Kultur, Silber und imposanten Burgen. Der Tod seines geliebten Herrschers Karl des IV, stürzte das Königreich in dunkle Zeiten: Krieg, Korruption und Zwietracht zerklüften dieses Juwel des Heiligen Römischen Reiches.
Wenzel, einer von Karls Söhnen, wurde zu seinem Nachfolger ernannt. Im Gegensatz zu seinem Vater ist er ein naiver, maßloser und wenig ambitiöser Monarch. Sigismund der rote Fuchs – Wenzels Halbbruder und König von Ungarn – wittert dessen Schwäche. Gute Absichten vortäuschend reist Sigismund nach Böhmen und entführt seinen Halbbruder. Ohne König ist Böhmen Sigismund ausgeliefert, der das Reich auf seinen Raubzügen plündert und sich dessen Schätzen bemächtigt.
Inmitten dieses Chaos verkörpert ihr Heinrich, den Sohn eines Schmieds. Euer friedliches Leben nimmt ein jähes Ende als eine Horde Söldner – angeheuert von König Sigismund selbst – euer Dorf niederbrennt. Durch glückliche Umstände seid ihr einer der wenigen Überlebenden dieses Massakers.
Eures Zuhauses, eurer Familie und eurer Zukunft beraubt, endet ihr im Dienste von Herrn Radzig Kobyla, der einen Widerstand gegen die Invasoren formiert. Vom Schicksal in diesen blutigen Bürgerkrieg hineingezogen, kämpft ihr um die Zukunft Böhmens.
Realistisches Mittelalter
Zu Beginn machen wir zunächst als ehrenhafter Bürger natürlich den ganzen Tag solche Sachen wie sich prügeln, flirten, Häuser mit Scheiße zu bewerfen und natürlich weiter prügeln. Bis schließlich unser armes Dorf von einer riesigen Armee überfallen wird, welche unseren Vater und unsere Mutter brutal abschlachtet. Natürlich stellen wir uns heldenhaft und versuchen unsere Eltern zu retten… Natürlich nicht. Wir nehmen so schnell wie es geht die Beine in die Hand und laufen so schnell es nur geht und verpissen uns. Später kommen wir dann nochmals in das verwüstete Dorf zurück, wo wir unsere Eltern plündern – das ist kein Scherz, wir können unsere Eltern wirklich plündern, so, wie alle anderen erlegten Gegner später auch.
Danach treffen schließlich nochmal auf den Mörder unserer Eltern, der uns ziemlich ans Leder will, worauf uns letztendlich die Tochter des Müllers rettet. Den weiteren Spielverlauf werden wir dann die ganze Zeit über verspottet, weil ein armes Bauernmädchen uns das Leben rettete. Von ihr werden wir schließlich in die nächst größere Stadt gebracht, wo das eigentliche Spiel richtig losgeht.
Beginnen wir doch gleich mal mit dem Realismus von Kingdom Come: Deliverance.
Alle Bürger haben einen wirklich einen realistischen Ablauf für den Tag. Zum Bespiel der Wirt geht am Morgen in die Kneipe und kümmert sich dort um die Gäste, während er am Abend wieder nachhause geht und schläft. Genauso ist es auch so, wenn man zum Beispiel morgens um 9 Uhr in einen Pub geht. Hier wird es relativ leer sein, während hingegen abends es ziemlich voll sein wird. Wenn man sich mit Leuten irgendwo treffen muss, zum Beispiel mit dem Kampfmeister auf dem Übungsplatz, wird er mitten in der Nacht nicht dort sein, sondern wird erst es zum Beispiel um 9 Uhr morgens auftauchen. Diesen Grad an Realismus mögen wir auch ganz gerne. Wenn wir im Kampf verwundet werden oder wenn wir irgendwo hinunterfallen, sind wir ziemlich am Arsch. Denn dann bluten Arme und Beine und wenn wir nicht dutzende Verbände bei uns haben, werden wir wohl qualvoll verbluten, bis wir es zu einem Arzt schaffen und wir viel Geld dafür ausgeben müssen, dass dieser uns behandelt. Doch warum Arzt? Wieso heilt man sich nicht einfach selbst? Nun ja, wir sind eben nur ein einfacher Schmiedesohn. Dank Realismus können wir uns gerade einmal mit Verbänden Wunden abbinden. Das wars aber dann auch schon. Und etwas essen oder gar schlafen, heilt solche Art von Wunden nicht – wie im echten Leben eben.
Eine Wunde, die genäht werden muss, kann man nicht durch ein Stück Ente oder etwas Schlaf plötzlich heilen lassen. Aber genau so einen Realismus mögen wir recht gerne. Auch zum Kampf: Es lässt sich in verschiedene Richtungen schlagen und auch stechen, blocken, parieren, ausweichen und treten. Die Kämpfe in Kingdom Come: Deliverance fühlen sich extrem realistisch und auch anstrengend an, als wäre man gerade wirklich in einen Kampf verwickelt. Hier muss man die ganze Zeit darauf achten, was der Gegner macht. Hält er sein Schwert nach oben, muss ich oben blocken, kommt seitlich, muss ich seitlich blocken. Greift er gerade an, soll ich ausweichen und hin stechen. Auf all diese Faktoren muss man achten. Außerdem spielt die Ausdauer eine große Rolle.
Holen wir drei Mal stark mit unserem Schwert aus oder blocken wir zum Beispiel drei starke Angriffe, sind wir einmal kurz aus der Puste und haben keinerlei Chance, uns zu verteidigen. Dasselbe gilt auch, wenn wir gefühlte fünf Sekunden Sprinten. Hierbei finde ich es aber etwas übertrieben. Menschen können durchaus länger sprinten. Aber wir erholen uns auch schnell wieder.
Als wir in das Dorf zurückkamen und unsere Eltern sahen (und plünderten), fanden wir auch dutzende andere Leichen. Und wirklich jede einzelne Leiche ließ sich plündern. Hört sich makaber an, dennoch herrscht hier ein großer Grad an Realismus, denn es wäre auch unlogisch, wenn dutzende Menschen allesamt nichts bei sich hätten. Außerdem ist es wichtig, dass wir essen, sonst sinkt unsere Ausdauer und wir können verhungern und daran sterben. Auch beim Schlaf verhält es sich ähnlich. Sind wir zu müde, fallen uns die Augen zu. Ich hatte sogar erlebt, dass ich nach einem kompletten Tag, an dem ich durch die Stadt gelaufen bin, plötzlich auf beiden Bienne Beschwerden hatte. Meine Beine waren von dem ganzen Tag herumlaufen so erschöpft, dass ich schlicht nicht mehr hätte weiterlaufen können.
Kingdom Come: Deliverance bietet auch viele Zwischensequenzen, die dafür sorgen, dass wir immer mehr und weiter in die Story eintauchen und man kann auch selbst die Handlung bestimmen. Durch verschiedene Antwortmöglichkeiten und einem Erfolg oder Misserfolg, ändern sich Quests und schließlich die Story um den jungen Schmied Heinrich. So auch die Stimmung einzelner Personen im Spiel. Auch ist es oft möglich, Quests auf verschiedenen Weisen zu lösen. Zum Beispiel müssen wir am Anfang einem Saufbold Geld eintreiben. Ich wollte es mir auf die harte Tour holen doch leider war er stärker als ich und ich habe kein Geld bekommen, weil er mich zu oft vermöbelt hatte.
Neben dem Weg, dass man auch hätte gewinnen können, gibt es in Kingdom Come: Deliverance dennoch drei weitere Wege, die Quest abzuschließen. Entweder wir holen unsere Freunde und vermöbeln ihn gemeinsam oder aber man schleicht sich in sein Haus ein und stiehlt sein ganzes Hab und Gut oder aber man kann auch seinem Vater bescheid sagen, der ihm dann einen Besuch am Abend im Wirtshaus abstattet und es sich selbst von ihm holt – ein interessantes System auf alle Fälle. Auch die Welt ist wunderschön designt. Oft habe ich mich erwischt, wie ich einfach nur gegangen bin, um die schöne Umgebung zu beobachten. Die Welt von Kingdom Come: Deliverance sieht sehr detailgetreu aus und man sieht, dass sich die Entwickler hier viel Mühe gegeben haben. Hier fühlt man sich wirklich, als wäre man in Böhmen um 1403.
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Und selbst mit einer schönen Musik, die meist eingespielt wird, ist es einfach ein Genuss, durch die idyllischen Landschaften zu laufen. Über die Synchro sind wir zwiegespalten. Zum einen gefiel uns die deutsche Synchro recht gut, dann wurde die Stimme aber in einigen Szenen schlecht mit der Lippensynchro überlagert, sodass die Stimmen nicht immer optimal zur Bewegung der Lippen passten. Dennoch ist die Synchro gut gelungen und man hört sogar einige bekannte Sprecher.
Man kann in Kingdom Come: Deliverance sogar in jedes einzelne Haus gehen und alles frei erkunden. Hierbei ist aber auch wieder der Realismus geboten, denn wenn man am Tag irgendwo erwischt wird, so zum Beispiel in einem Privathaus und der Besitzer bemerkt dies, wird er einen womöglich rauswerfen. Ebenso ist es nachts, wenn alle Häuser zugesperrt sind und man die Schlösser der Türen erst knacken müsste, um herein zu kommen. Also sperren die Bewohner am Abend die Türen zu, sodass niemand unerwünscht hineinkommen kann.
Die Welt ist extrem frei zu erkunden und man fühlt sich auch nicht gefangen – eine wahre Open World.
Das hat uns nicht gefallen:
Ein Spiel solchen Ausmaßes ist natürlich nicht frei von Fehlern. Einige Bugs haben wir in Kingdom Come: Deliverance natürlich auch gefunden. So kommt es zum Bespiel vor, dass in einigen Zwischensequenzen einige Charaktere und unser Held selbst einfach nur noch flüsterten und das obwohl die Lautstärke nicht verändert wurde. Auch wie oben schon erwähnt, klappte die Synchro zwischen Gesprochenem und der Lippenbewegung manchmal nicht perfekt.
Auch gab es in einigen Szenen ein paar kleinere Ruckler, die aber relativ selten an der Tagesordnung waren. Im weiteren Spiel lief es sonst fehlerfrei.
Was uns in manchen Sequenzen auch nicht gefiel, war die ungewöhnliche Steuerung. Anfangs in den Kämpfen wird man kaum zurechtkommen und immer wieder versagen. Doch hat man sich erst einmal daran gewöhnt, kommt man mit der Technik im Kampf und den Tastenbelegungen ganz gut klar. Des Weiteren sind manche Belegungen der Knöpfe eher für den PC ausgelegt. Schlösser knacken oder Minispiele sind ganz klar für den Rechner gemacht, wir Konsoleros tun uns mit den Varianten der Knöpfebelegung recht schwer.
Auch die Charakteranimationen sind teils recht schräg und kommen in so mancher Szene gar nicht in Geltung. Teils zu steif und emotionslos, sprechen euch die Leute an und stehen wie ein Sack Kartoffeln in der Gegend herum.
Auch sind einige Quests in Kingdom Come: Deliverance schlicht und einfach nur öde. Will am der Story folgen, so weiß man schnell, welche Entscheidung man zu treffen hat, da diese ja sowieso logischer zu sein scheint und widmet sich dann nicht noch irgendwelchen anderen Dingen. Es macht schon Spaß, dennoch hätte man sich die ein oder andere Quest schlicht sparen können.
Es sind noch einige Bugs, die Kingdom Come: Deliverance zu bewältigen hat, um DAS perfekte Open-World-RPG zu sein. Sicher ist das Spiel eines der besten RPGs seit Jahren, dennoch müssen die Entwickler (mal wieder und wie so oft in einem großen Spiel) per Patch nachbessern. Laut Warhorse hatte man hier einfach zu wenig Zeit und musste sich dem Zeitdruck des Publishers geschlagen geben.
Fazit:
Kingdom Come: Deliverance ist ein ganz besonderes Spiel, von dem wir hin und her gerissen sind. Es hat seine tollen Momente, kann aber in einem anderen wieder total mies sein. Man muss es selbst erlebt haben, um genau zu urteilen. Der Realismus, die Story, die vielen verschiedenen Charaktere und das ganze Drumherum haben es uns aber wirklich angetan.
Fans und Spieler von Rollenspielen werden Kingdom Come: Deliverance auf keinen umgehen und es sich zu Gemüte führen. Gerade die Welt und die Geschichte um den jungen Schmiedesohn Heinrich, der seine Eltern auf eine brutale Art und Weise verloren hat und nun sein Leben komplett verändert hat, ist von den Warhorse Studios sehr gut umgesetzt. Kingdom Come: Deliverance kommt ganz ohne Monster, Drachen und anderen Wesen aus und setzt hier mehr auf die Realität und wie es damals im finsteren Mittelalter wirklich war.
Bekommt man den Titel (leider) mit ein paar kommenden Patches hin, steht einem ein aufregendes Abenteuer auch auf der Xbox One bevor, das Seinesgleichen sucht. Mit Witz, Charme, Gewalt und jeder Menge Dialoge ist Kingdom Come: Deliverance eines der besten Open-World-RPGs seit langem. Wir sind schon gespannt, wie die Geschichte um Heinrich weitergeht.